Im OP der Uniklinik Freiburg entsteht gerade ein Stück Zukunft – und zwar ganz konkret: Im FRAI.Lab, einem interdisziplinären Projekt an der Schnittstelle zwischen Klinik, Forschung und Wirtschaft, werden bislang ungenutzte Datenpotenziale aus der Neurochirurgie erstmals systematisch erschlossen. Das Ziel: Künstliche Intelligenz soll dabei helfen, schwerkranken Patient:innen präzisere Therapien zu ermöglichen. Projektverantwortlicher Dr. Christian Haverkamp im Gespräch über die Hintergründe und Potenziale.
„Der OP ist ein hoch-technisierter Raum, aber die dort entstehenden Daten werden oft nur geräteintern gespeichert. Es gibt keine strukturierte Zusammenführung, kein systematisches Lernen aus den Informationen”, erklärt Dr. Christian Haverkamp. Der Mediziner und Digitalisierungsexperte leitet das Institut für Digitalisierung in der Medizin an der Uniklinik Freiburg. Gemeinsam mit seinem Team will er das ändern – und setzt dabei auf Vernetzung: „Wir bringen klinisches Wissen, unternehmerische Innovationskraft und datenwissenschaftliche Expertise an einen Tisch.“
Daten nutzen - Lösungen bieten
Genau so entstand die Idee zum FRAI.Lab – einem Projekt der KI-Allianz, gefördert vom Wirtschaftsministerium des Landes Baden-Württemberg. Die Grundidee des FRAI.Lab ist ebenso simpel wie wirkungsvoll: Daten, die bei Operationen entstehen, sollen zusammengeführt, standardisiert und über ein professionelles Forschungsdatenmanagement nachhaltig nutzbar gemacht werden. Dabei steht vor allem die Neuro-Onkologie im Fokus – ein Bereich, in dem es um Millimeterentscheidungen geht.

„Die Herausforderung bei Hirntumoren ist enorm: Wenn der Chirurg zu wenig Gewebe entfernt, bleibt der Tumor aktiv. Wenn er zu viel entfernt, verliert der Patient womöglich lebenswichtige Funktionen“, beschreibt Haverkamp das medizinische Dilemma. KI-basierte Analysen könnten hier zukünftig helfen, Entscheidungen noch präziser zu treffen – zum Beispiel durch intraoperative Bildgebung oder molekulargenetische Auswertungen in Echtzeit.
Von der Idee zur Struktur
Damit aus guten Ideen auch konkrete Innovationen werden, setzt das Frai.Lab auf ein dreisäuliges Konzept:
- Single Point of Contact
Unternehmen erhalten einen strukturierten Zugang zur Klinik – nicht über Zufälle oder persönliche Kontakte, sondern über festgelegte Ansprechpartner:innen, die Projekte begleiten.
- Forschungsdatenmanagement
Bestehende Daten werden systematisch katalogisiert und – unter Berücksichtigung des Datenschutzes – für Forschung und Entwicklung verfügbar gemacht.
- Innovative Datenerhebung
Neue, hochdimensionale Daten werden gezielt generiert – etwa durch Sequenzierung oder spektroskopische Bildgebung direkt während der OP.
„Das ist Präzisionsmedizin in Reinform“, betont Haverkamp. Und sie funktioniert nur, wenn alle Akteur:innen eng zusammenarbeiten – auf Augenhöhe, offen und strukturiert.
Ein Ökosystem der Möglichkeiten
Die KI-Allianz spielt dabei eine Schlüsselrolle. „Sie bringt genau die Akteur:innen zusammen, die es für diesen Wandel braucht: innovative Medizintechnikunternehmen im Land, Forschende, Kliniken – und das alles auf einer Plattform, die auch für KMU zugänglich ist”, so Haverkamp. So entsteht ein Netzwerk, das Lösungen beschleunigt, anstatt auf Zufallskontakte zu setzen. „Ich halte das für ein unglaublich starkes Instrument.”
Inzwischen arbeitet das FRAI.Lab mit fünf Unternehmenspartnern zusammen – weitere Kooperationen sind geplant. Die Daten bleiben dabei geschützt, doch über die Datenplattform der KI-Allianz können Unternehmen erkennen, wo relevante Informationen verfügbar sind – und gezielt anfragen.
Auch die Patient:innen selbst tragen diesen Weg mit. Fast alle stimmen der Datennutzung zu – freiwillig, nach sorgfältiger Aufklärung. „Gerade in der Neuroonkologie sehen wir eine enorme Bereitschaft zur Mitwirkung – viele Patient:innen möchten ihre Erfahrung in den Dienst der Zukunft stellen“, sagt Haverkamp.
Freiburg als Vorreiter
Das Frai.Lab ist Teil eines größeren Translationszentrums, das strukturell in der Uniklinik Freiburg verankert ist. Perspektivisch könnte es Vorbild sein für viele weitere Standorte: „Wir brauchen nicht überall das gleiche System – aber wir brauchen überall die gleiche Haltung: KI dort einzusetzen, wo sie den Menschen konkret helfen kann“, so Haverkamp.
Der ehemalige Klinik-Schwimmbadbereich, der gerade zum Labor umgebaut wird, ist dabei ein sichtbares Symbol: Wo früher Patient:innen rehabilitierten, entstehen heute Arbeitsplätze für eine neue Form der Medizin – vernetzt, datengestützt und menschenzentriert.

Über Dr. Christian Haverkamp
Der Mediziner hat seine Wurzeln in der Neurologie und arbeitet seit 20 Jahren an der Uniklinik in Freiburg. Dabei hat er schon früh gemerkt, dass der digitale Fortschritt in der Medizin nicht mit dem Schritt hält, was in anderen Bereichen längst Standard ist. Seit 2016 arbeitet er aktiv daran, das zu ändern – mit Erfolg.